Global gescheitert - Podiumsdiskussion
„Wer von euch kann etwas mit der Hisbollah anfangen?“ Kaum einer der Oberstufenschüler*innen hebt an diesem Morgen die Hand. „Und 187“? Der Publizist Christoph Giesa, der gemeinsam mit Professor Susanne Schröter im Johannes-Gymnasium zu Gast ist, und die Veranstaltung zum Thema „Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass“ moderiert, schaut auf das Händemeer. „Die Hisbollah gilt als die größte Terrororganisation der Welt, sie ist in Deutschland inzwischen verboten. Der 187-Produzent Hadi el Dor ist ein Fan der Hisbollah, hat entsprechende Tattoos und Verbindungen – 187 hat im Libanon das Video zu Paradies gedreht. Da darf sonst niemand aus dem Westen drehen“, erklärt Giesa. Nachdenkliche Gesichter.
Immer wieder weist die Ethnologin Schröter, die einige Zeit „on the ground“ in Indonesien gelebt und geforscht hat, auch in ihrem neuen Buch „Global gescheitert“ auf Verbindungen hin, die es zwischen Terrororganisationen und Deutschland gibt. Im Rahmen ihrer Forschung zum globalen Islam hat sie sich vor allem mit den aktuellen Entwicklungen in Afghanistan besonders in Bezug auf Frauen und den Polizeiaufbau beschäftigt. „Wie konnte es passieren, dass die Taliban 2021 trotz schlagkräftiger amerikanischer Armee ohne nennenswerten Widerstand bis Kabul durchmarschieren konnten“, fragt sie und liefert die Antwort gleich nach. „Es war schon 10 Jahr vorher klar, dass die Mission des Westens nicht funktionieren würde“, konstatiert sie. Außer in den großen Städten könnten die meisten Afghanen z.B. mit dem Begriff der Emanzipation nichts anfangen. Im Islam werde die Ehre der Familie häufig schon allein durch den Universitätsbesuch oder einen außerhäuslichen Arbeitsplatz von Frauen verletzt. Und auch die Polizei habe einen anderen Stellenwert in der afghanischen Gesellschaft: Sie sei in der Regel korrupt und habe aufgrund schlechter Bezahlung Waffengeschäfte mit den Taliban gemacht.
„Wir haben das nicht kommen sehen!“ Wirklich nicht? Der russische Angriffskrieg in der Ukraine? Schröter führt in ihrem Buch aus, dass die Politik sich nicht vom innenpolitischen Handeln oder von der Außenpolitik Russland habe beirren lassen: „Man hat die Bedenken der osteuropäischen Nachbarn nicht ernst genommen und sich von einem autokratischen Regime abhängig gemacht.“ Der Westen glaube häufig, dass alle so großartig werden sollen wie er und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit annehmen müssten: „Im Verhältnis mit Russland ist man damit krachend gescheitert.“
Schröter beschreibt den Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass, sie kritisiert die westliche Politik, die verdrängt, schönredet, moralisiert und schlechte Entscheidungen trifft und kommt dabei zu dem Schluss: „Überheblichkeit und Selbsthass behindern die realistische Überprüfung eigener Stärken und Schwächen, die notwendig ist, um aus Fehlern zu lernen und die Zukunft des Westens zu sichern. Eines sollte dabei gewiss sein: Wer die Freiheit im Innern nicht achtet, hat nach außen nichts zu verteidigen.“
Freiheit nach innen bedeute auch, Menschenrechte konsequent durchzusetzen und beispielsweise terroristische Vereinigungen zu verbieten: „Das islamische Zentrum Hamburg wird vom Verfassungsschutz als Instrument der iranischen Staatsführung eingestuft. Und der Iran ist ein terroristischer Staat“. Auch bezüglich der ultrarechten türkischen Organisation „Graue Wölfe“ als größte rechtsextreme Organisation in der BRD beklagt Schröter eine große Zögerlichkeit: „Ein Verbot ist kein Rassimus, die meisten Opfer dieser Organisationen sind Muslime.“
Die Professorin, die bei der Vergabe von Stipendien der Friedrich-Naumann-Stiftung, die sich die politische Bildung auf ihre Fahnen geschrieben und den Polit-Talk an diesem Vormittag ermöglicht hat, Gutachten und Empfehlungen schreibt, ermuntert die SchülerInnen, sich vor Ort einzumischen. „Ich bin eine überzeugte Demokratin und lebe in der freiesten, wohlhabendsten und sozial abgesichertsten Region der Welt. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, dass Menschen in anderen Regionen der Welt andere Vorstellungen von einem guten Leben haben und andere Werte und Normen haben als ich. Eine Einmischung in deren Angelegenheiten stehen dem Westen nicht zu.“ (mrk)